Projektbeschreibung

Die Marx-Engels-Gesamtausgabe wurde in den 1970er Jahren in Berlin und Moskau begonnen. Sie erwarb in Fachkreisen hohes Ansehen und ist in allen großen Bibliotheken der Welt präsent. Nach 1989 haben sich Wissenschaftler, Politiker und Verleger aus vielen europäischen Ländern, Japan und den USA nachdrücklich für die Fortführung der Ausgabe eingesetzt.

Auf Initiative des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, in dessen Besitz sich der größte Teil der Handschriften von Marx und Engels befindet, wurde 1990 in Amsterdam die Internationale Marx-Engels-Stiftung (IMES) gegründet, die seither die MEGA als akademische Edition in internationaler Forschungskooperation herausgibt. Die politisch unabhängige IMES ist ein internationales Netzwerk, dem neben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen­schaften und dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn und das Rußländische Staatliche Archiv für Sozial- und Politikgeschichte in Moskau angehören. Ziel der IMES ist es, die MEGA als historisch-kritische Edition sämtlicher Schriften von Marx und Engels zu Ende zu führen.

Derzeit arbeiten Wissenschaftlerteams in Deutschland, Rußland und Japan an der MEGA. An der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften findet die Koordination der Arbeiten und die Endredaktion und Satzvorbereitung aller in internationaler Forschungskooperation edierten Bände statt.

Zur Geschichte der MEGA

Das Projekt einer historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe geht auf David Borisovič Rjazanov (1870–1938) zurück. Der russische Gelehrte begann in den 1920er Jahren in Moskau mit der Edition einer 42bändigen Marx-Engels-Ausgabe, die in Frankfurt am Main und Berlin verlegt wurde und von der zwischen 1927 und 1941 zwölf Bände erschienen sind. Die Machtergreifung Hitlers und der in den 1930er Jahren eskalierende stalinistische Terror, dem neben Rjazanov mehrere russische und deutsche Editoren zum Opfer fielen, setzten dieser Edition, in der erstmals Marx’ „Öko­nomisch-philosophische Manuskripte“ aus dem Jahre 1844 und die „Deutsche Ideologie“ veröffentlicht wurden, ein Ende. Obwohl Rjazanovs Projekt in der Zeit des „Tauwetters“ nach Stalins Tod in Moskau und Berlin wieder aufgegriffen wurde, konnte das Konzept für eine neue „zweite“ MEGA, die den literarischen Nachlass von Marx und Engels vollständig und originalgetreu darbietet, ausführlich kommentiert und die Textentwicklung mit modernen Methoden darstellt, erst in den 1960er Jahren gegen den Widerstand hoher Partei­instanzen, denen eine historisch-kritische Gesamtausgabe suspekt war, durchgesetzt werden. Das Internationale Institut für Sozialgeschichte (IISG) unterstützte das Projekt bereits damals, da der Charakter der Edition als historisch-kritische Gesamtausgabe garantiert wurde. Die 1972 in einem Probeband vorgestellten Editionsrichtlinien dieser „neuen“ MEGA orientierten sich an innovativen Editionskonzepten und wurden von der internationalen Fachwelt positiv aufgenommen. Zwei Drittel der für eine historisch-kritische Gesamtausgabe unentbehrlichen Originalhandschriften befinden sich seit den 1930er Jahren im Besitz des IISG, ein weiteres Drittel war nach Moskau gelangt und wird heute im Rußländischen Staatlichen Archiv für Sozial- und Politik­geschichte aufbewahrt. Von den bis 1990 erschienenen 36 Bänden wurde jeweils ein Drittel am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Moskau, am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, sowie an der Akademie der Wissenschaften und einigen Universitäten und Hochschulen der DDR bearbeitet. Da die Edition somit eine Parteiangelegenheit war, erfolgten Einführung und Kommentierung der Texte nach den ideologischen Grundsätzen des Marxismus-Leninismus und auch auf die Textdarbietung gab es politisch motivierte Einflussnahmen.

Nach dem Herbst 1989 ergriffen das IISG und das Karl-Marx-Haus Trier der Friedrich-Ebert-Stiftung im Einvernehmen mit den beiden bisherigen Herausgeberinstituten die Initiative zur Gründung der Internationalen Marx-Engels-Stiftung (IMES), die im Oktober 1990 in Amsterdam errichtet wurde.

Im Februar 1992 schloss die Konferenz der deutschen Akademien der Wissenschaften einen Kooperationsvertrag mit der Inter­nationalen Marx-Engels-Stiftung. Auf Empfehlung des Wissenschaftsrates und der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung wurde die MEGA nach positiver Begutachtung durch eine internationale Kommission unter dem Vorsitz von Dieter Henrich als Vorhaben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in das Akademienprogramm des Bundes und der Länder aufgenommen. Die „Begutachtung dieser Aus­gabe [hatte] zum Ergebnis, daß sie als Edition auf hohem Niveau erfolgt sei und auch westlichen Ansprüchen entspreche“.

Das gilt in gleicher Weise auch für das äußere Erscheinungsbild der – von dem Leipziger Buchkünstler Albert Kapr entworfenen – MEGA-Bände, deren Typographie und Einbandgestaltung auch nach dem Wechsel vom Dietz Verlag zum Akademie Verlag (1998) erhalten geblieben ist.

Neu war demgegenüber die Aufgabe der Entpolitisierung der Edition, insbesondere in der Kommentierung. An die Stelle des früheren, politisch motivierten teleologischen Deutungs- und Editionsimperativs ist nunmehr das Prinzip der konsequenten Historisierung des Werkes getreten. Dies meint eine Kontextualisierung, die das Marxsche Denken im Zusammenhang seiner Zeit und ihres Problem- und Fragehorizontes verortet. Dabei wird deutlich, daß Marx, unabhängig von der geschichtsprägenden Kraft seines Denkens, einen legitimen Ort in der Wissenschaftsgeschichte mehrerer Disziplinen besitzt: Über die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hinaus wird durch die MEGA der enzyklopädische Ansatz eines Œuvres sichtbar, das sich über Philosophie und Soziologie bis hin zur Kulturgeschichte erstreckt. Durch die gelungene Rekonstitution des MEGA-Projekts als Akademienvorhaben hat Marx nach dem Epochenjahr 1989 seinen Platz im Kreis der großen klassischen Denker gefunden.

Philologische Prinzipien

Die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) ist die vollständige, historisch-kritische Ausgabe der Veröffentlichungen, der nachgelassenen Manuskripte (Entwürfe) und des Briefwechsels von Karl Marx und Friedrich Engels.

Vollständigkeit
Sie bietet das literarische Erbe von Marx und Engels – soweit es überliefert und der Wissenschaft zugänglich ist – erstmals in seiner Gesamtheit dar. Zu den bereits bekannten Schriften, Artikeln und Briefen – erstmals auch der an sie gerichteten Briefe Dritter – kommt eine Reihe bisher unveröffentlichter bzw. neu entdeckter Arbeiten hinzu. Durch Autorschaftsanalysen konnte zudem die Urheberschaft von Marx oder Engels an zahlreichen Texten verifiziert oder falsifiziert und somit der Werkbegriff weiter konturiert werden. Darüber hinaus werden alle Manuskripte, Entwürfe, Notizen und Exzerpte publiziert.

Originaltreue
In der MEGA werden alle Texte in der Sprache der jeweiligen Originale wiedergegeben. Dies bildet die Grundlage für Untersuchungen zu Sprachschatz, Begriffswelt und zur Klärung historisch-genetischer Fragen der Terminologie. Die Textwiedergabe folgt getreu den überlieferten autorisierten Textvorlagen, auf Grundlage der originalen Handschriften und Drucke. Unvollendete Manuskripte werden in jenem Bearbeitungsstadium dargeboten, in dem die Autoren sie hinterlassen haben. Eine kritische Textrevision im Sinne der Beseitigung eindeutig fehlerhafter Stellen erfolgt behutsam und unter genauer Rechenschaftslegung.

Darstellung der Textentwicklung
Die MEGA dokumentiert vollständig und übersichtlich die Werkentwicklung von der er­sten Gedankenskizze bis zur Fassung letzter Hand mit Hilfe moderner Editionsmethoden: Die einzelnen Werke werden zunächst im Textteil nach der Handschrift oder dem Erstdruck vollständig wiedergegeben. Die gesamte autorisierte Textentwicklung in Manuskripten und Drucken veranschaulichen Variantenverzeichnisse im wissenschaftlichen Apparat, so dass jede einzelne Fassung eines Werkes herangezogen, aber auch die Textentwicklung in ihrer Gesamtheit überblickt werden kann. Damit wird ein bislang ungekannter Einblick in die Arbeitsweise der Autoren ermöglicht.

Ausführliche Kommentierung
Die Textdarbietung ist verbunden mit einer intensiven wissenschaftlichen Kommentierung. Diese beginnt mit einer Einführung, in der das Textmaterial vorgestellt und wissenschaftsgeschichtlich kontextualisiert wird. Im Anschluss daran wird die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte jedes Werkes dargestellt. Dies schließt den Nachweis der Verfasserschaft, die Begründung der Datierung sowie eine genaue Beschreibung der überlieferten Handschriften und autorisierten Drucke ein. Es folgen das Variantenverzeichnis mit der Darbietung der Textentwicklung und das Korrekturenverzeichnis, das über redaktionelle Eingriffe in den überlieferten Text Auskunft gibt. Die Erläuterungen bringen die vom wissenschaftlichen Nutzer benötigten Sachhinweise, werkimmanente Verweise und Quellenbelege. Ein umfangreicher Registerapparat beschließt jeden Band.